Idomeni Florenz März 2016
Facebook Beiträge von Florenz zu seinem Einsatz in Idomeni
12.03.2016
Unser erster Tag in Idomeni. Wir arbeiten hier für Aslam Obaid und sein unglaubliches Team. Seine Assistentin Lea Wilmsen hat Marit Neukomm und mir heute Morgen unsere zukünftigen Einsatzplätze im Chaos Camp gezeigt. Heute Nacht werden wir ab 23 Uhr weitere grosse Zelte auf Paletten montieren.
13.03.2016
Erste Nachtschicht, zweiter Einsatztag. Ich finde keine Worte mehr.
14.03.2016
Ich habe Angst, bin in einem Wechselbad von Wut, Trauer und Enttäuschung: Was hier in diesen Tagen in Idomeni passiert, ist in letzter Konsequenz die grobfahrlässige, massenhafte Traumatisierung und Radikalisierung von Menschen, die in Hoffnung auf Frieden und Freiheit in Europa ihr Land vor Wochen und Monaten verlassen haben. Durch die totale Schliessung der Grenzen lösen wir keine Probleme, wir schaffen uns längerfristig nur viel grössere, zusätzliche. Es ist für mich unglaublich, wie selbstgefällig, schlecht informiert, unüberlegt und kurzsichtig Politiker und Behörden in ganz Europa und der Schweiz meinen, das Problem lösen zu können. Ich habe auch keine Lösung. Sicher aber wäre eine vorübergehende, systematische Grenzöffnung auf der Balkanroute ein Schritt in die richtige Richtung.
15.03.2016
Das war bisher mein schlimmster Einsatz: Gestern gegen Mitternacht bekamen wir die Meldung, dass im Wald unten am Fluss mehrere grosse Flüchtlingsgruppen völlig durchnässt, desorientiert und entkräftet umherirren. Sie seien von der mazedonischen Polizei auf griechisches Gebiet zurückgedrängt worden. Sofort wurden mehrere Gruppen mit verschiedenen Hilfsaufträgen losgeschickt. Ich habe mit einem Kollegen zusammen in unserem Zentrallager 300 Wolldecken geladen und bin ebenfalls losgefahren. Auf dem Rückweg trafen wir um 02.30 Uhr in dunkelster Nacht kurz hintereinander auf einen alten Mann und eine junge Frau, die beide nicht mehr ansprechbar waren. Freiwillige Sanitäter fanden wir rasch, bis aber eine der unzähligen Ambulanzen frei war, ging es 45 Minuten. Europa, welcher Teufel reitet Dich? Warum schreien nur wenige auf, wenn die fundamentalsten Menschenrechte systematisch mit den Füssen getreten werden?
Alle Einsätze inklusive Bewirtschaftung aller Vorräte und Lagerbestände
werden von Aslam Obaid koordiniert, den ich auf Lesbos kennengelernt habe. Unglaublich, was dieser Typ, selbst ehemaliger Flüchtling, innert wenigen Wochen mit seinem Staff aufgebaut hat. Mehrere Gruppierungen, unter anderen zum Beispiel ein Küchenteam, das täglich 10'000 Verpflegung produziert, arbeiten unter seiner Regie. Ende Januar war noch nichts da, jetzt füllt sein Staff ein ganzes Hotel. Ich bin glücklich, dass ich mit ihm zusammenarbeiten kann. Thank you, my Friend!
Haben vor 20 Minuten von Volunteers im Einsatz die Meldung bekommen, dass im Camp beim alten Bahnhof die Afghanen und Syrer mit Stangen aufeinander losgehen. Die griechische Polizei sei zwar dort, aber greife nicht ein. Sind jetzt in ihrer Verzweiflung auch die Flüchtlinge von allen guten Geistern verlassen? Aber vielleicht ist das ja genau die Taktik der Grenzschliessungen. Sollen die sich gegenseitig kaputt machen. Dann kommen auch weniger in unser Paradies.
18.03.2016
Da geht, wie jeden Tag, wieder einiges raus morgen früh aus dem Einsatz- und Bereitstellungszentrum von Aslam Obaid: 1500 Foodbags enthaltend je 1 hausgemachtes Sandwich, 2 frische Früchte, einen Beutel Trockenfrüchte, ein gekochtes Ei und eine Flasche Mineralwasser. Eine Rechnung für 8 Tonnen Orangen haben Marit Neukomm und ich bezahlt, finanziert mit Spenden von Volunteers for Humanity und von Flos Freunden. Herzlichen Dank!
22.03.2016
Hier mal etwas zum Schmunzeln in dieser eher tristen Zeit:
Auf der nächtlichen Rückfahrt vom Camp in Cherso hat mich der syrische Einsatzleiter und Koordinator Aslam Obaid gefragt, ob ich eigentlich "Annri Donannd" auch kenne. Dieser Mann sei sein grosses Vorbild. Auf mein zögerliches Nein reagierte er eher enttäuscht. Es brauchte dann meinerseits noch einige Zusatzfragen, bis ich herausfand, dass er den Genfer Rotkreuzgründer Henry Dunant meinte ...
23.03.2016
Seit heute Mittag blockieren Flüchtlinge die Zufahrten und Wegfahrten in und um Idomeni. Wir sind zur Zeit eingeschlossen und können nur noch über schlechte Feldwege Polikastro verlassen. Sicher wird sie diese Aktion viel Goodwill kosten. Auf der anderen Seite wäre zu diskutieren, was das grössere Unrecht ist: Grenzen schliessen und aus Europa eine Festung machen. Oder Strassen schliessen und damit den Verkehr für einige Stunden stoppen. Wir verlieren nur Zeit. Die Flüchtlinge und ihre Kinder aber ihre Zukunft.
UPDATE ROAD BLOCK POLYKASTRO:
Die Polizei ist mit einem Grossaufgebot vor Ort, greift aber -vorläufig - nicht ein. Auf meine Frage "warum" sagte mir ein Polizeioffizier, dass er auf Befehle von "ganz oben" warte.Und jetzt gerade, während ich schreibe, ziehen sich grosse Teile der Polizei sogar zurück, Die Flüchtlinge, gemäss meiner Umfrage alle aus Syrien und Irak, skandieren:"Thank you Greece, thank you Greece.
Nur für mich wurde es nach dem Gespräch noch unangenehm. Plötzlich kamen zwei Männer auf mich zu und hielten mich fest. Sie hätten mich gestern Abend im EKO Camp gesehen. Und ich hätte dort Flüchtlinge abgeholt und weggebracht. Meine freundliche Antwort: "yes, EKO yes, but volunteer, volunteer" beruhigte ihre Gemüter.
24.03.2016
Liebe Freundin, lieber Freund auf Facebook,
sicher kennst Du das unangenehme Gefühl, in einer langen Warteschlange zu stehen: Am Skilift, am Flughafen, an einer Konzertkasse vielleicht?
Kannst Du Dir vorstellen, was in Dir vorgehen würde, wenn dies für Dich jeden Tag mehrmals und mit leerem Bauch zur Überlebensnotwendigkeit würde? Und zwar nicht für einen tollen Skitag, einen Flug in die Ferien oder ein Mega-Konzert. Nein, für einen Beutel mit einer Banane, zwei Orangen, ein paar Keksen und einem Fläschchen Mineral. Ohne Wahl zwischen mit oder ohne Blöterli notabene …
Oder, kannst Du Dir vorstellen, dass Kinder, Deine Kinder vielleicht, bei uns keine eigenen Spielsachen hätten und darum ebenfalls lange anstehen, bis sie 10x Seiligumpen dürfen?
Bei der Kolonne für die Verpflegungsausgabe war es zudem so, dass, kurz nachdem ich das Bild gemacht hatte, das Volunteersteam von Aslam Obaid alle 900 Beutel verteilt hatte und rund 50 Wartende leider leer ausgingen. Sehr enttäuscht und weiterhin hungrig mussten sie wieder abziehen.
Was haben diese Leute verbrochen? Warum lässt Europa zu, ja fördert geradezu, dass sie so unwürdig behandelt und gedemütigt werden? Und warum schaut die Mehrheit der Schweizerinnen und Schweizer einfach weg
25.03.2016
Ich habe die Leute von Hot Food Idomeni (siehe gleichnamige FB-Seit) begleitet. Ihr Team Leader Barry Flogan und seine engsten Mitarbeiter arbeiteten bis vor einigen Wochen freiwillig im berüchtigten Jungle von Calais. Nun können Aslam Obaid und seine Freiwilligen im Parkhotel Polykastro von seinen Erfahrungen profitieren.
Ab 08.00 morgens waschen, rüsten und hacken ein Dutzend Volunteers frisches Gemüse, das von lokalen Produzenten für die Suppen Produktion eingekauft wird. Diese werden in vier grossen Töpfen in einem alten Armeezelt hinter dem Einsatzzentrum Parkhotel Polikastro gekocht.
Um die Mittagszeit disloziert dann ein Teil der Truppe - nach einem kurzen Briefing über die aktuelle Situation und die Gefahren im Camp - ins 15 Minuten entfernte Hauptcamp in Idomeni.
Ich war heute sehr beeindruckt über die Qualität, die Effizienz und die Erfahrung betreffend Crowd-Management, die Barry Flogen und seine engsten MitarbeiterInnen dort in die Suppenabgabe einbrachten:
3’500 Portionen heisse Suppe, die innert weniger Stunden - begleitet von einem Lächeln - ohne Problems abgegeben werden konnten.
Seine Tagesausgaben für den Einkauf des Rohmaterials betragen zur Zeit 920 Euro pro Tag. Das macht 0.26 Euros pro Portion. Ich habe ihm heute Abend aus meinem von „Freunde Flos für Idomeni“ eingerichteten Konto den Betrag von 2’760 Euros übergeben. Herzlichen Dank auch auf diesem Weg an alle, die auf dieses Konto einbezahlt haben.
Ich fliege morgen zurück in mein Leben A. Und wenn ich zurück in der Schweiz das nächste Mal in einem Restaurant eine Suppe für 6.50 Franken bestellen werde, wird mir schon einiges durch den Kopf gehen.
26.03.2016
Ein grosses Dankeschön für alle Spenden auf mein Konto "Idomeni" auch auf diesem Wege. Dank Euch konnte ich unter anderem der Gruppe Hot Food Idomeni von Barry Flogan den Ankauf von frischem Gemüse und weiteren Zutaten finanzieren. Während fünf Tagen haben die Freiwilligen hinter dem Parkhotel (Aslam Obaid) insgesamt 20'000 Portionen frische, heisse Suppe gekocht und anschliessend im Camp verteilt.